Ich hasse Schallplatten und Leute die
sie hören. Nein, das stimmt nicht ganz. Der Klang ist großartig,
man hat etwas in der Hand. Im Regal sehen sie großartig aus,
außerdem ist es toll, dass man sich meistens das gesamte Album
anhört. Alben sind Gesamtkunstwerke. Man hütet sich davor, von
Filmen nur das Ende zu sehen, geschweige denn einzelne Seiten aus
Büchern zu lesen. Schallplatten müssen umgedreht werden, deshalb
hört man sie bewusster – von allein machen dies nicht. Ich hasse
keine Schallplatten und ich höre sie selbst.
Ich hasse nur die Vorstellung von
Schallplatten. Die damit zusammenhängende Symbolik. Schallplatten
hat man in der Hand, sie wiegen etwas und meistens sind sie alt. Um
genau zu sein ist die Vorstellung von ihnen inszeniert
bedeutungsschwer und abgegriffen. Die kratzende Nadel auf dem rauen
Vinyl ist ungefähr so neu und romantisch wie Delphine im glitzernden
Wasser oder Schwäne, die ein Herz aus ihren Hälsen bilden. Nichts
ist heute so wichtig wie Authentizität. Ein Teufelskreis, wenn man
sich selbst zuerst einmal vor sich selbst erklären muss. Was macht
eine Person aus? Ist der Ursprung von Überzeugungen wichtig, von
Ästhetik? Kann man Geschmack und Vorlieben beurteilen? Ich will
nicht, dass mir Handyfotos, denen nach dem Knipsen mit Picasa ein
70er Jahre Filter aufgesetzt und ein Polaroid-Rahmen verpasst wurde,
gefallen. Das ist nichts echtes. Natürlich wird die Welt
schnelllebig und das Verlangen nach dem Schein von Beständigkeit ist
selbstverständlich. Der reißende Datenfluss von kleinen
Vintage-Fotos im Netz ist im größeren Betrachtet jedoch
ironischerweise das Gegenteil von beständig. Überall sieht man
bewährte, analoge Kameras und gleichzeitig sind die Mieten so teuer,
dass die gesamte Wohnung die Größe einer Dunkelkammer besitzt.
Zeitgemäße Kleidung ist heute
zeitlos.
Das Verlangen nach Authentizität
bewirkt das Gegenteil.
Durch all das zeigt sich der extreme
Konstruktivismus der Gesellschaft in einer für mich bisher
ungekannten Härte. Die Absurdität der Mode, ja ganzer
Lebensentwürfe und vor allem anderen das Problem, sich trotz dieses
Wissens selbst einordnen zu müssen. Jede ablehnende Handlung könnte
eine Trotzreaktion sein, jede Akzeptanz ein Schwimmen
mit der Masse. Die Realität besteht scheinbar zu einem Teil aus ungeplanten,
unbeobachteten Momenten und einem Teil Klischees. Und eigentlich
existiert das alles nur in meinem Kopf.
Blumen zu verschenken finde ich
romantisch. Platt, konservativ, einfallslos...aber romantisch. Nachts
Texte bei offenem Fenster zu schreiben, während eine Kerze im Licht
flackert und eine dampfende Tasse Tee den lauwarmen Zug des
Frühlingswindes unterstreicht, während draußen milde Regentropfen
auf das Kopfsteinpflaster fallen ist romantisch. Abgegriffen,
inszeniert, unauthentisch und platt. Aber romantisch. Verfluchte
Gedanken die in verbotene Erinnerungen abdriften sind eher
melodramatisch, der Grad ist ein schwindend schmaler.
Richtige Romantik ist abstrakter und
gleichzeitig unspektakulärer. Morgens ohne Grund einen perfekten
Kaffee serviert zu bekommen, genau so, wie man ihn selbst machen
würde. Unerbittete Postkarten. In Kneipen sitzen, ohne ein Wort
sagen zu müssen. Nach Trennungen von Freunden mit dem Lieblingsessen
und Schnaps überrascht werden. Selbstverständliche Handlungen, die
plötzlich ins Bewusstsein geraten und als wunderbar klassifiziert
werden. Und wenn ein Freund den Plattenspieler anschmeißt, weil er
um die Beliebtheit der kratzenden Nadel weiß, dann sollte man das
vielleicht einfach akzeptieren und sich ganz ungeniert freuen.