Freitag, 6. September 2013

Die zwischenmenschliche Gondelfahrt

Wir investieren in nichts so viel Zeit, wie in zwischenmenschliche Beziehungen. Selbst andere Beschäftigungen beziehen sich indirekt auf unser Ansehen, unser Umfeld, unsere Zufriedenheit – denn gerade die steigt und fällt mit dem Verhalten anderen.
Es ist nicht so, dass wir es allen Recht machen wollen. Trotzdem scheint es geheuchelt zu sein, wenn jemand behauptet, dass ihm alle anderen egal wären. Vielleicht soll gerade diese Einstellung imponierend wirken. #Yolo. Ein Paradoxon.
Häufig selektiert man die anderen. Wir suchen unsere Umfelder danach aus, wie wir selbst gerne wären. Wenn wir dann den Erwartungen der Anderen gerecht werden, erfüllen wir auch die eigene. Das „Ich“ und das „Wir“, muss also nicht immer getrennt werden. Da wir sowieso nicht alle Facetten des Lebens mit jedem Teilen, inszenieren wir uns „Teilgemeinschaften“. Teile des Selbstbildes, Bruchstücke der eigenen Auffassungen, Beschäftigungen, Lebenseindrücken. Besitzt man eine ähnliche Sichtweise auf die Welt, dann sind das gute Voraussetzungen. Ist man empfänglich für die unbekannte Sichtweisen der anderen, dann sind es noch bessere. Ein Großteil des Wissens, des eigenen „Ichs“ wird nicht in Universitäten oder Büchern aufgenommen. Auch diese sind lediglich Arbeitsmedien, mit dem Unterschied, dass das Ziel klarer Umrissen ist. Es entsteht aus Ereignissen, aus dem Teilen von Erfahrungen. Wir reden schlicht und ergreifend mehr, als wir lesen. Dabei ist die Art der Wahrnehmung stets eine andere, Pluralismus genannt. Mit solchen Begriffen findet man lediglich einen Ausdruck dafür, was jeder Mensch tagtäglich praktiziert. Er hat das Rad also nicht neu erfunden, sondern es nur Skizziert. In eigenen Kulturkreisen, aus den eigenen Wurzeln ist es einfacher, Übereinstimmungen zu bekommen. Deshalb gibt es quantitativ mehr Zusammenhalt in eigenen Milieus. Ich distanziere mich davon, das ganze zu bewerten. Es ist einfacher, aber nicht besser.
Ein Beispiel für die Sichtweise: Vor einiger Zeit saß ich mit einem Freund nachts an der Spree, wir tranken ein paar Biere und tauschten uns aus. Irgendwann bemerkten wir die Baustelle auf der Straßenseite hinter uns. Sie war groß, es wurde mal wieder ein Hochhaus gebaut in Berlin. Also eigentlich nicht der Rede wert. Auf ihr stand ein sehr hohen Kran. Es war inzwischen ungefähr ein Uhr nachts, in der Woche. Dann hörten wir das Kreischen und konnten nicht so recht zuordnen, woher es kam. Bis wir eine große Gondel an dem Kran sahen, in der ungefähr zwanzig Leute platz fanden. Er drehte sich und die Leute mussten einen fantastischen Ausblick haben. Das kam mir jedenfalls als erstes in den Sinn. Wir sahen einen Moment zu und schließlich sagte mein Freund: „Ich weiß, das klingt jetzt etwas abgedroschen und klischeehaft, aber selbst mit einer Baustelle, die tagsüber nicht betreten werden darf, wird in dieser Stadt mitten in der Nacht Geld verdient.“
Ich verstand, ich konnte nachvollziehen und freute mich über den Hinweis auf das Offensichtliche, was ich bis dahin nicht bemerkt hatte. Oder, was ich mir unterbewusst abgewöhnt hatte, da sowieso nur schlechte Laune daraus resultiert. Jedenfalls war es nicht der erste Gedanke, der mir in diesem Moment kam. Mehr blieb dazu auch eigentlich nicht zu sagen.
Wir beide haben eine relativ ähnliche Lebensgeschichten, wir verstehen uns und haben nicht zu unterschiedliche Eindrücke von der Welt gesammelt, sodass man nicht bei jeder Kleinigkeit aneinander prallt. Man sensibilisiert sich auf ähnliche Problematiken und besitzt zwar Diskussionsstoff, stimmt aber grundsätzlich überein. Unsere Milieus sind ähnlich.
Schwieriger und teilweise interessanter wird das ganze, wenn Unterschiede deutlicher Hervorstechen. Es gibt dabei zwei unterschiedliche Konzepte, bzw. Ansichten, die ich interessant finde. Der Kulturbegriff ist ist natürlich unglaublich breitgefächert, von der Subkultur zur Jugend- und Joghurtkultur. Da man daraus Stunden an Gesprächsstoff ziehen und selbst bei Masterarbeiten selektieren muss, beziehe ich mich lediglich auf zwei Ansichten.
Die Interkulturalität besagt, dass Kulturen homogene Einheiten seien, die zwar interagieren können, aber grundsätzlich Unterschiedlich seien. Wenn man also z.B. die Sprachbarriere überwunden hat, bleibt das Gesagte inhaltlich auch künftig so andersartig, dass man es nicht nachzuvollziehen wäre. Stellen wir uns einen Bänker und einen Kommunisten im Gespräch vor, die so ungleiche Auffassungen haben, dass sie den anderen letztendlich für verrückt halten würden.
Dagegen steht die Transkulturalität. In dieser treffen sich die Subjekte, ohne, dass die Grenzen von Religionen, Traditionen oder Nationen gezogen wurde. Der Differenzen werden durch die dynamischen Netzwerke, in denen wir uns bewegen, geprägt. Deshalb sind wir alle transkulturelle Wesen, wir mögen japanisches und amerikanisches Essen (Stichwort: Essenskultur) und können Gedankengüter von überall her online bestellen. Vieles von dem, was ich hier schreibe, sind Gedanken eines gewissen Jörg Sandkühler, wenn ich sie auch umformuliert habe. Nur des Gewissens halber, Ehre, wem Ehre gebührt.
Das würde auch die Konflikte erklären, in die wir mit unseren Mitmenschen geraten. Einige Auffassungen sind nicht kompatibel. Wir haben nicht grundsätzlich Recht, wir haben andere Meinungen. Jeder, der schon einmal lange diskutiert hat, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen, weiß, was ich meine. Was wir nicht verstehen, verstehen wir nicht. Wir können es versuchen, können uns austauschen, aber eine „Nachvollziehbarkeitsgarantie“ gibt es nicht. Manchmal reicht es deshalb, mit dem Kopf zu schütteln und aus stillem Protest nicht in die Gondel zu steigen. Mehr bleibt einem nicht übrig.

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