Samstag, 17. August 2013

Naivität

Vor kurzem stellte ich mir die Frage, wie viel Naivität im mittleren Alter legitim ist. Wenn man in den zwanzigern steckt, auf der Suche nach sich selbst, spielt diese anscheinend einen große Rolle. Sie unterscheidet die abgeklärten Realisten von den abgehoben Träumern. Es gibt dabei jedoch kein festes Schema, in vielen verschiedenen Lebenslagen muss man sich bewusst mit ihr auseinander setzen, wenn man sein eigenes Handeln für sich selbst (und andere) begründen will. Ob es nun um die Frage geht, ob man sich sichtbar Tattoowieren lassen sollte, ob es um Beziehungen auf Zeit geht, oder darum, mit oder ohne Ehevertrag zu heiraten, um die Vielfältigkeit zu betonen. Meistens kommt sie ins Spiel, wenn man sich Gedanken über die Zukunft stellt. An den beiden Enden des Graphen stehen dann das „Lebe für das Heute“ und die „Sicherheit im Morgen“.
Sie geht mit der Entwicklung einher, in jungen Jahren handeln die meisten Menschen eher idealistisch, während später häufig der vernünftige Realismus, die Anpassung an die Umstände, der Kompromiss wichtiger wird. Später hört man mit dem Rauchen auf. Lifestyles werden enttarnt, oder man flüchtet sich in sie.
Alles in allem ist es kompliziert gestellt, um die Naivität.
Man muss natürlich die bewusste von der unbewussten trennen. Konstruiere ich mir die Welt bewusst so, weil es mir möglich ist, oder ist sie von anderen so konstruiert und ich füge mich unbewusst? Bin ich mir über die Konsequenzen bewusst, oder stehe ich unversehens vor dem Affekt? Bin ich im Moment des worst-cases überrascht? Am Beispiel des Tattoos: Habe ich mich in dem Bewusstsein stechen lassen, dass ich mir mit dieser „Handlung der Selbstverwirklichung“ vielleicht andere Türen schließe, wie z.B. einen guten Eindruck bei konservativen Eltern meiner zukünftigen Freundin zu erwecken, oder einen Job in der Bank zu bekommen?
Kommt der Tag der Trennung in der „Beziehung auf Zeit“ plötzlich und es schmerzt völlig unerwartet, oder war ich mir dessen von Anfang an bewusst und habe es trotzdem zugelassen?
Mit solchen Fragen lässt sich leicht klären, um welche Art der Naivität es sich handelt. Ich unterstelle natürlich, dass es so etwas wie die bewusste Naivität überhaupt gibt. Ich denke, dass sie aus einer Mischung von Idealismus und Selbstlüge besteht. Natürlich leidet man im worst-case immer, sonst wäre es nicht der schlimmste Fall. Was entscheidend ist, wird der Grad der Überraschung sein. Und natürlich der Heftigkeit dieses Szenarios. Aus diesen lernt man, zieht Schlüsse und wird es beim nächsten Mal vielleicht anders machen, wenn man vor der Wahl steht. Oder man macht es beim nächsten Mal genau so, weil es die anschließende Schicksalsrechnung wert ist. So oder so wird mit den Szenarien, mit den Erfahrungen die man sammelt, langsam die unbewusste zur bewussten Naivität. Was bleibt, ist Erinnerung. Und das bessere Einschätzen beim nächsten Mal. Denn die Zukunft steht schon vor der Tür.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen